Kurzgeschichten

Stromausfall

„Es war einmal eine kleine Prinzessin, die wünschte sich nichts sehnlicher als …“ Papa Flausch hält plötzlich inne. Um ihn herum ist es stockdunkel. Freddy schlottert mit seinen kleinen Zähnen und zieht sich die Bettdecke unter sein Näschen. „Papa?“, flüstert er und greift suchend im dunkeln nach seiner Pfote. „Bist du noch hier?“  „Ja, mein Sohn“, antwortet Papa Flausch ruhig und tätschelt Freddy Hase umhersuchende Pfote. „Keine Angst, der Strom ist nur ausgefallen.“  „Kannst du ihn bitte wieder anstellen, Papa?“, fragt Freddy besorgt. „Ich fürchte mich im Dunkeln.“  „Das musst du nicht“, sagt Papa Flausch und klappt das Buch, aus dem er gerade vorgelesen hat, zu. „Du wirst sehen in ein paar Minuten haben sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und dann ist alles gar nicht mehr so schlimm.“ Und tatsächlich kann Freddy langsam wieder ein paar Umrisse in seinem Zimmer erkennen. Sogar seinen Papa, der sich vorsichtig Schritt für Schritt durch das Kinderzimmer zur Tür kämpft. „Ich gehe nach unten und prüfe den Stromkasten“, sagt Papa Flausch. „Und du bleibst einfach ganz ruhig in deinem Bettchen liegen und wartest auf mich, okay?“ 

Zähneschlotternd antwortet Freddy ganz leise: „Na gut!“ Papa Flausch verschwindet durch die Tür. Freddy sitzt regungslos in seinem Bettchen und spitzt seinen Ohren. Außer dem Knarren der alten Holztreppe, die Papa Flausch gerade hinunter schleicht, ist kein Mucks zu hören. Freddy zieht sich seine Decke noch weiter unter die Nase. „Hoffentlich hat Finn-Fuchs nichts mit dem Stromausfall zu tun“, murmelt er leise in seine Bettdecke hinein. Dieser Halunke hat schon oft versucht, in unser Zuhause einzubrechen, denkt Freddy. Seine Zähne schlottern vor Angst. Er traut sich, kaum zu atmen. Plötzlich, hinter dem weißen Vorhang erkennt Freddy einen Lichtschein. „Das ist bestimmt Finn-Fuchs mit seiner Taschenlampe“, sagt er und zieht sich die Decke über seine langen Ohren. Was mache ich jetzt nur, denkt Freddy. Ich muss Papa warnen. Freddy nimmt all seinen Mut zusammen und lugt unter der Bettdecke hervor. Im Zimmer ist es auf einmal viel heller. Obwohl die Nachttischlampe immer noch nicht brennt, ist der Raum wie beleuchtet. Plötzlich hat Freddy gar nicht mehr so viel Angst. Mutig steigt er aus dem Bett und schleicht zum Fenster. Er lugt vorsichtig durch den Vorhang hindurch, um nachzusehen, wer dort mit der Taschenlampe in sein Zimmer leuchtet. Freddy staunt. Er starrt mit großen Augen in ein freundliches Gesicht. „Schön!“, haucht er und lächelt. Der Mond ist aufgegangen und leuchtet so hell, dass die Nacht gar nicht mehr so dunkel und angsteinflößend wirkt. Freddy zieht den Vorhang ganz auf. „Mondschein, komm nur herein!“, ruft er glücklich und springt auf und ab. „Du kommst zur rechten Zeit! Juhu.“ Freddy ist so beschäftigt damit, sich zu freuen und den Mond anzustarren, dass er beinahe nicht merkt, dass das Licht seiner Nachttischlampe wieder brennt und sein Papa die Treppen hinauf ins Zimmer kommt.   „Papa, Papa!“, ruft Freddy aufgeregt. „Der Mond ist aufgegangen und leuchtet so hell, dass wir überhaupt gar kein Licht mehr brauchen.“ Papa Flausch lacht und streichelt seinem Sohn über die langen Ohren. „Da hast du Recht. Heute ist Vollmond. Da leuchtet er besonders hell.“  „Jetzt habe ich gar keine Angst mehr“, sagt Freddy und lächelt den Mond an. Papa Flausch legt eine Pfote um ihn und zusammen blicken sie noch lange den Vollmond an bis Freddys Augen irgendwann müde zufallen. 

Kurzgeschichten

Nikolaus

Niko Laus ist ein 14-jähriger Junge und wohnt in der Nachbarschaft. Er spielt gerne Fußball und isst für sein Leben gern – Pizza. Vor allem die mit extra viel Käse. Im Gegensatz zu den anderen Kindern in seinem Alter, hasst er die Weihnachtszeit. Am Liebsten würde er die vier Wochen in einen Winterschlaf verfallen und erst wieder aufwachen, wenn all der Spuk vorbei ist. Da dies leider nicht funktioniert, verfolgt er eine andere Taktik: Schlecht gelaunt und mürrisch durch den Tag. Das ist Nikos Motto. Nur so kann er seiner Meinung nach die Zeit der „frohen Botschaften“ überleben. Um Kontakte mit anderen Menschen so gut wie es geht, zu vermeiden, geht er nur mit seinem weißen Kapuzenpulli vor die Türe, den er tief in sein Gesicht zieht. Den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht unnötig von Leuten erkannt zu werden. Was hatten sich seine Eltern nur bei seinem Vornamen gedacht? War ihnen damals nicht aufgefallen, dass er mit dem Nachnamen zusammen wie „NIKOLAUS“ klingt? Oder haben sie ihren einzigen Sohn extra so genannt, weil sie es ebenfalls witzig wie alle anderen in seiner Klasse und der ganzen Welt fanden? Niko vermutete Letzteres. Niko stapfte durch den Schnee und ärgerte sich, dass er für sein morgiges Referat etwas vergessen hatte. Nun musste er gezwungenermaßen noch mal vor die Tür. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er irgendjemanden über den Weg laufen würde. Niko senkte seinen Kopf noch tiefer und wollte gerade die Tür zum Laden aufstoßen, als er in einen dicken Mann lief. Beide schrien auf. Der heiße Kaffee sickerte so schnell durch seine Jacke hindurch, dass Niko sie panisch auszog und fallen lies. „Pass doch auf Junge!“, brummte der Herr verärgert und ging einfach an ihm vorbei. Fassungslos blickte Niko ihm hinterher. „Danke, der Nachfrage. Mir gehts gut. Außer das meine Jacke und mein Pulli in Kaffee getränkt sind. Ich ziemlich angepisst darüber bin, fühle ich mich fantastisch“, rief er dem Mann nach und hob seine nasse Jacke auf. Frau Baldin, die Besitzerin des Ladens, eilte herbei. „Niko du Armer, ist dir etwas passiert?“ Kopfschüttelnd begutachtete sie seinen Kapuzenpulli und die klitschnasse Jacke, die er zwischen Daumen und Zeigefinger vor seinem Körper hielt. „So kannst du nicht nach Hause, mein Junge. Du holst dir ja den Tod da draußen!“ Mit schnellen Schritten verschwand sie hinter der Verkaufstheke. „Ist schon gut!“, murmelte Niko genervt. „Ich bin ja nicht aus Zucker!“ Da kam Frau Baldin aber schon wieder zurück. Sie hatte eine Jacke im Arm. Glücklich strahlte sie ihn an. „Hier bitteschön. Die wird dich schön warm halten.“ Niko konnte es nicht fassen. War das tatsächlich ihr Ernst oder machte sie sich einen Scherz mit ihm? „Das werde ich garantiert nicht anziehen!“, schnaubte er. „Lieber erfriere ich!“  „Na, na, junger Mann. Stell dich bitte nicht so an. Der Mantel ist kuschlig warm und passt perfekt zum heutigen Tag.“ Niko rollte mit den Augen. Warum hatte er nur das Haus verlassen? Wieso muss ihm denn immer so etwas passieren? Frau Baldin blickte ihn an und öffnete den Mantel, damit Niko reinschlüpfen konnte. Niko stand da, zögerte und überlegte. Immerhin waren es draußen Minus 15 Grad. Sein Heimweg würde fast 30 Minuten dauern. Mit nur einem Pulli am Körper würde er es wahrscheinlich nicht bis nach Hause schaffen. Es war zwar die schrecklichste Zeit des Jahres, aber erfrieren wollte er doch nicht. Auch wenn er das vorhin als Option erwogen hatte. Frau Baldin stand immer noch da und nickte ihm zu. „Komm schon, zieh ihn an.“ Niko atmete einmal schwer aus und schlüpfte in den kuscheligen knallroten Nikolausmantel. 

Auf dem Rückweg nahm er einen anderen Weg. Der war sicherer. Hier war die Chance gleich Null, dass irgendjemand von seinen Freunden ihn in diesem Aufzug sehen würde. Denn falls ihn wirklich irgendjemand in diesem Mantel sehen würde, dann müsste er wirklich in einen Winterschlaf fallen. Oder noch besser in einen Ganzjahres-Schlaf. Mit schnellen Schritten eilte er durch die dunklen Gassen, als er plötzlich ein kleines Mädchen heulen hörte. Sie saß schluchzend vor einem Haus auf der Treppe. Ihr Gesicht hatte sie tief in den Händen vergraben. „Warum kommt der Nikolaus nicht zu mir!“, hörte er sie murmeln. „Ich war doch so brav.“ Niko wurde ganz traurig, als er das Mädchen so weinend sah. Er blickte sich um, setzte seine Kapuze auf und ging auf sie zu. „Entschuldige, ich habe mich ein bisschen verspätet.“, sagte Niko mit tiefer verstellter Stimme. Das Mädchen schreckte hoch und blickte ihn durch ihre verheulten Augen glücklich an. „Nikolaus, du bist doch noch gekommen“, rief sie und umarmte ihn. Niko lächelte und dachte, dass er vielleicht seine Meinung zu seinem Namen und der fünften Jahreszeit noch einmal überdenken sollte. 

Kurzgeschichten

Bücherei

Es war mucksmäuschenstill. Nur das alte Holz der dunklen Eichendielen knackste. Das Geräusch ähnelte einem Wimmern. Es schien, als ob der Fußboden seine Glieder vor Schmerzen streckt und reckt. Die Tore der alten Stadtbibliothek waren geschlossen. Endlich kehrte Ruhe in die alten Gemäuer ein. Die Rauhnächte hatten begonnen und mit ihnen wurde eine ganz besondere Zeit eingeläutet. Im Dorf wurde sich erzählt, dass in jenen Nächten zwischen Weihnachten und Neujahr magische Dinge geschehen würden. Die kleine Jule hatte sich all diese Geschichten angehört und beschlossen die erste Nacht der Rauhnächte in der alten Stadtbibliothek zu verbringen. Sie dachte, wenn es einen Ort gibt, an dem magische Dinge passieren könnten, dann nur in der Bibliothek. Jule wollte es selbst herausfinden, ob die Geschichten, die die Erwachsenen erzählten auch wirklich stimmten. Deshalb versteckte sie sich hinter einem der haushohen Regalen und wartete, bis die Bibliothekarin gegangen war. Das Mondlicht schien durch die Fenster hinein und tauchte den Raum in ein kaltes Licht. Jule schluckte und blickte sich um. Außer dem Knacksen der alten Holzdielen war nichts zu hören. Ungeduldig zog sie ihre Knie bis zum Kinn und wippte hin und her. Die Nahgelegende Turmuhr schlug neun Mal. Der Klang schallte durch die Regale und lies den Boden ein wenig vibrieren. Jule seufzte und ärgerte sich über die Erwachsenen. Warum war sie so blöd gewesen und hatte all die Geschichten geglaubt. Enttäuscht stand sie auf und schlich durch die Bücherregale in Richtung Tür. Zum Glück hatte sie sich vor ein paar Tagen bereits den Ersatzschlüssel aus der unteren Schublade des Schreibtisches von Frau Zimmermann der Bibliothekarin stibitzt. Jule blickte auf ihre Armbanduhr. Es war genau 21:12 Uhr, als sie plötzlich ein Geräusch zwischen den Regalen hörte. Erschrocken wich sie zurück und versteckte sich hinter einem dicken roten Samtvorhang. Das Geräusch wurde immer lauter und klang nach einem fröhlichen Gemurmel. Vorsichtig lugte Jule hinter dem Vorhang hervor und sah, wie goldener Staub aus den Büchern rieselte. Sie rieb sich ihre Augen. Aus dem goldenen Staub wurden Gestalten, Wesen und Tiere. Sie kamen alle aus den Büchern. Über Jules Kopf flog ein goldschimmernder Drache und zwischen den Regalen saßen magische Wesen. Jule entdeckte Pinocchio, den Zauberer Petrosilius Zwackelmann, den kleinen Hobbit und viele andere Wesen aus ihren Lieblingsbüchern. Einer nach dem Anderen huschte aus der Bibliothek hinaus in die Nacht. Jule beobachtete wie die Wesen, wie Sternschnuppen am Himmel tanzten. Zufrieden schmunzelte sie und wahr froh, dass die Geschichten, die sich erzählt werden doch wahr sind. 

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Tapetenwechsel

Unni Eichhorn saß wie jeden Tag alleine in der Baumhöhle des alten Ahornbaums und langweilte sich. Sie wartete sehnsüchtig auf ihre Mama, die gerade auf der Suche nach etwas zu Essen war. Unni war noch ganz klein. Ihr weiches Fell war feuerrot und auf ihren Ohren wuchsen kleine Haare, die wild in alle Richtungen abstanden. Unni gähnte und streckte sich vor Langeweile. Die Baumhöhle war dunkel und eintönig. Wie gerne wäre sie draußen in der Sonne, um all die bunten Blätter zu bestaunen, von denen ihre Mama Eichhorn so viele Geschichten erzählt hatte. Doch Unni hatte ihrer Mama hoch und heilig versprochen, die Baumhöhle nicht alleine zu verlassen. Und daran hielt sie sich. Doch eines Tages hörte sie vor der Baumhöhle im Geäst ein lautes Geräusch. Irgendjemand oder irgendetwas raschelte vor der Höhle. Neugierig spitzte Unni ihre kleinen Ohren. Obwohl sie es Mama Eichhorn versprochen hatte, schlich sie sich zum Eingang der Höhle, um vorsichtig nachzusehen, wer oder was das Geräusch verursachte. Unni lugte aus dem Baumloch hervor und entdeckte einen kleinen rotschimmernden Vogel, der emsig bunte Blätter vom Ahornbaum pflückte. 

„Was machst du da?“, fragte Unni leise. Überrascht fuhr das Rotkehlchen herum. „Du hast mich vielleicht erschrocken“, zwitscherte es und zupfte an ein paar gelbschimmernden Blättern herum. „Ich baue ein Nest.“ 

„Ein Nest?“, fragte Unni erstaunt. „Das wird ja richtig bunt.“ 

„Oh ja!“, trällerte das Rotkehlchen glücklich. „Ich liebe diese Farbenpracht.“ 

Unni wurde ganz traurig. „Mein Zuhause ist ganz dunkel und farblos. Ich hätte auch gerne eine bunte Höhle.“ 

Das Rotkehlchen flatterte aufgeregt mit den Flügeln. „Das ist doch ganz einfach“, rief es und flog los. „Ich helfe dir.“ Und so pflückte das Rotkehlchen die schönsten und buntesten Herbstblätter, die es finden konnte und brachte sie Unni. Das kleine Eichhörnchen war überglücklich und schmückte die dunkle Baumhöhle mit all den farbenfrohen Blättern. Am Abend als Mama Eichhorn nach Hause kam, traute sie ihren Augen nicht. Die Höhle erstrahlte in einem neuen Glanz.

„Ich hoffe, der Tapetenwechsel gefällt dir?“, fragte Unni zufrieden und umarmte Mama Eichhorn freudig. Lächelnd nickte Mama Eichhorn und küsste ihre kleine Unni auf die Nase. Sie konnte ihr wirklich nicht böse sein, denn die Höhle war wunderschön geworden. 

Kurzgeschichten

Geburtstag

„Happy Birthday, to you!“, singen die kleinen drei Krabben fröhlich und klappern mit ihren Scheren im Takt. „Happy Birthday, to you …“

„Ist ja gut. Hört auf!“, unterbricht Großvater Gustav Krabbe seine Enkel. „Ihr wisst doch, dass ich meinen Geburtstag nicht mag!“ Grummelig schiebt er die drei kleinen Krabben aus der Höhle. „Verschwindet jetzt und lasst mich alleine.“ „Aber Großvater, wir wollen doch heute mit dir feiern“, protestiert Lili Krabbe und versucht sich aus dem Griff der Scheren zu befreien. „Wir haben doch eine Überraschungsfeier für dich vorbereitet.“  „Menno, Lili!“, sagt ihr Bruder Bob genervt. „Jetzt hast du Großvater die Überraschung verraten.“ Lili schluckt. „Oh nein, das wollte ich nicht.“ Mit großen Augen blickt sie ihren Großvater an. „Tut mir leid, Opa!“

Unbeeindruckt schiebt Gustav Krabbe die drei kleinen Krabben in Richtung Ausgang. „Feiert ohne mich!“, sagt er mürrisch und rollt einen dicken Stein vor die Öffnung der Höhle. Enttäuscht blickt Lili ihre zwei Brüder an und seufzt: „An Geburtstagen sollte niemand alleine sein.“

„Großvater Gustav bleibt jetzt aber alleine in seiner Höhle“, sagt Ben sauer. „Er ist einfach eine schlecht gelaunte und griesgrämige alte Krabbe. Wenn er nicht mit seiner Familie feiern möchte, dann ist das eben so.“  Enttäuscht laufen die drei über die Felsen in Richtung Zuhause, als sie plötzlich ein lautes Rufen hören.  „Du Rotzlöffel! Lass mich sofort wieder runter!“ Gustav Krabbe klappert wie wild mit seinen Scheren. Er baumelt zwischen den Fingern eines rothaarigen Jungen in der Luft, während dieser fasziniert auf den kräftigen Panzer von Gustav klopft.  „Oh nein, der Junge hat Großvater gefangen!“, ruft Lili erschrocken. „Wir müssen ihm helfen.“ Blitzschnell laufen die drei kleinen Krabben auf den Jungen zu, um ihm in die Zehen zu kneifen. Doch der Junge bemerkt sie und beugt sich neugierig zu ihnen hinunter. „Euch drei nehme ich auch noch mit“, sagt er glücklich und greift nach seinem Kescher, der neben ihm auf einem der Felsen liegt. Lili, Ben und Bob sitzen wie erstarrt da. Großvater Gustav Krabbe nutzt den Moment, als der Junge nach dem Kescher greift und kneift ihm in die Nase. Erschrocken schreit der rothaarige Junge auf und lässt Gustav Krabbe los. Zum Glück fällt Gustav nicht so weit und rappelt sich gleich wieder auf. „Kommt!“, ruft er seinen drei Enkeln zu. „Lasst uns schnell abhauen. Los!“ Der Junge reibt seine rote schmerzende Nase. Hastig fliehen die vier gemeinsam über die Felsen bis sie vor dem sicheren Höhleneingang von Lili, Bob und Bens Zuhause stehen. Völlig aus der Puste und überglücklich blickt Gustav Krabbe seine Enkel an. „Ich danke euch. Ihr habt mir das Leben gerettet“, sagt er und lächelt heute zum ersten Mal. Lili strahlt. „Nun können wir doch noch alle zusammen deinen Geburtstag feiern“, sagt sie und umarmt ihren Großvater. 

Kurzgeschichten

Tiergeschichten

Eines Nachts wird Anton von einem seltsamen Geräusch aufgeweckt. Irgendetwas ist vor seinem Fenster. Er hört ein Kratzen. Anton zieht sich ängstlich seine Bettdecke über die Nasenspitze und lugt zum Zimmerfenster. Große gelbe Augen starren ihn eindringlich an. Anton zittert wie Espenlaub. Das muss ein Monster sein, denkt er und umklammert seine Bettdecke. Ein Monster mit fiesen leuchtenden Augen, einem riesigen runden Kopf und großen Ohren. „Buoh, buoh, buoh“, ruft das Monster plötzlich und klopft mit seinem Schnabel an die Scheibe. Anton erschrickt. „Wir brauchen deine Hilfe!“, flüstert eine zarte Mädchenstimme. „Wir tun dir nichts.“ Neugierig schlüpft Anton aus seinem Bett, schleicht zu seinem Zimmerfenster und öffnet es einen Spalt. „Du bist ja gar kein unheimliches Monster!“, sagt er erleichtert. „Du bist ein Uhu.“  „Eida-Uhu, mein Name“, krächzt sie und blickt neben sich. „Und das hier ist Linea.“ Anton traut seinen Augen nicht. Aus dem Schatten des Uhus tritt eine kleine Elfe hervor. Sie ist gerade mal so groß wie seine Hand, aber wunderschön. Sie trägt ein leuchtend weißes Kleid, das im Mondlicht silbrig schimmert. Und auf dem Köpfchen sitzt wie ein Hut ein rosa Moosglöckchen, aus dem dunkle lockige Haare hervorblitzen. „Du musst uns helfen!“, flüstert Linea mit engelsgleicher Stimme. „Der Garten-Kobold wurde gefangen genommen. Wir müssen ihn retten.“ Anton schüttelt den Kopf. „Was? Der Garten-Kobold ist weg? Wer hat ihn denn gefangen genommen?“ „Buoh, buoh“, ruft Eida-Uhu. „Das erklären wir dir unterwegs.“ 

Bevor Anton etwas sagen kann, klettert Linea auf seine Hand und träufelt ein paar blauleuchtende Tropfen auf seine Haut. Antons Körper beginnt plötzlich auf die Größe der kleinen Elfe zu schrumpfen. Fassungslos starrt er an sich hinunter. „Das ist ja obercool“, ruft er mit glänzenden Augen. „Diese Tropfen brauche ich auch.“ Anton sitzt hinter Linea auf dem Rücken von Eida-Uhu. Lautlos gleiten sie durch die warme Sommernacht. Der Garten-Kobold sitzt gefangen in einem kleinen Vogelkäfig in einem der vielen Schrebergärten und blickt wütend in die dunkle Nacht. Zwei schwarze schnurrende Katzen bewachen ihn. Aus sicherer Entfernung beobachten Eida-Uhu, Linea und Anton die Lage. Anton, der mittlerweile durch zwei gelbe Tropfen wieder seine normale Größe zurückgewonnen hat, schleicht auf Zehenspitzen in Richtung des Käfigs. Die Katzen fauchen, als sie ihn sehen, doch Anton ist vorbereitet. Er hat eine Handvoll schmackhafter Leckereien in seiner Hosentasche, auf die sich die beiden Kätzchen gierig stürzen. „Ach sieh mal an wen wir hier haben!“, sagt der Garten-Kobold. „Du bist doch der neugierige Junge, den ich mit Hilfe meines Glitzer-Staubes weggepustet habe.“ Anton nickt und öffnet leise das Schloss des Käfigs. „Ja, das war nicht besonders nett von dir. Du kannst froh sein, dass Eida-Uhu und Linea mich geholt haben, damit ich dich hieraus befreien kann.“

„Danke“, murmelt der Kobold widerwillig und hüpft unbemerkt an den Katzen vorbei in das hohe Gras. „Komm!“, ruft er Anton leise zu. „Zum Dank lade ich dich in den Zaubergarten ein.“ Antons Augen leuchten und er folgt dem Garten-Kobold durch die verwilderte Hecke. 

Allgemein, Kurzgeschichten

Die Garten-Oase

Eines Tages nach der Schule lief Anton durch die Schrebergärten in der Nachbarschaft und kletterte auf einen der Zäune, um die vielen Gärten zu bewundern. Sie waren alle unterschiedlich. Manche von ihnen hatten ganz viele bunte Blumen gepflanzt. Andere wiederum schmückten Gemüsebeete und Obstbäume. Doch ein Garten gefiel Anton am meisten. Er war ganz anders als die anderen. Verwildert und geheimnisvoll. Der Garten versteckte sich ganz hinten in der Ecke. Dichtes grünes Gestrüpp umgab ihn und verdeckte die Sicht auf das, was sich dahinter verbarg. So sehr Anton seinen Kopf auch reckte und streckte, er konnte von hier aus nicht viel erkennen. Er musste näher heran. Anton kletterte über den Zaun. Er schlich vorsichtig zwischen den anderen Gärten hindurch bis er vor dem dichten Gestrüpp stand. Anton drehte sich noch einmal in alle Richtungen, um auch sicherzugehen, dass ihn niemand beobachtet hatte, und schlüpfte schließlich hindurch. 

Als er endlich die andere Seite des Gestrüpps erreichte, traute er seinen Augen nicht. Er stand mitten in einer grünen Oase. Die vielen Blumen glitzerten und funkelten in den schönsten Farben. Es duftete herrlich nach Pfannkuchen, Erdbeermarmelade und anderen köstlichen Dingen. An den Bäumen hingen seltsam geformte Früchte, die Anton noch nie zuvor gesehen hatte. In der Ferne thronte ein Baumhaus im Blätterdach eines alten Nussbaums. Plötzlich huschte vor ihm etwas durch das hohe Gras. Anton blieb wie angewurzelt stehen und entdeckte ein merkwürdiges Wesen. Es saß zwischen den hohen Gräsern und starrte ihn mit großen schwarzen Kulleraugen an. „Was willst du in meinem Garten?“, fragte das kleine Kerlchen sauer. „Ich habe dich nicht eingeladen.“ Anton zuckte. „Entschuldigung. Ich war nur so furchtbar neugierig, was sich hinter dem Gestrüpp verbirgt.“ 

Das merkwürdige Wesen kam vorsichtig auf ihn zu. „Neugierige Schnüffelnasen kann ich nicht ausstehen“, sagte das Kerlchen und grummelte vor sich hin. Und da sah Anton erst, mit wem er da gerade redete. Vor ihm stand ein waschechter Gartenkobold mit einer wilden Mähne aus Blättern und Sträuchern auf dem Kopf. Er hatte schon viel über sie gelesen, aber begegnet war er bis heute noch keinem. „Du bist ja ein Gartenkobold.“, rief Anton begeistert. „Das wird mir keiner glauben.“ Neugierig beugte er sich zum Kobold hinunter. Gerade als er seine Finger nach dem kleinen Kerlchen ausstrecken wollte, bekam Anton eine Ladung Glitzerstaub in seine Augen. Er kam ins Straucheln, fiel hin und rieb sich seine brennenden Augen. „Aua, na warte.“, rief er. „Wenn ich dich erwische.“ In der Ferne hörte er den Kobold kichern. Anton rieb sich den letzten Staub aus den Augen und sah sich erstaunt um. Er saß plötzlich wieder vor dem Gestrüpp, durch dass er vorhin hindurchgeschlüpft war. „Wie ist das nur möglich“, murmelte er kopfschüttelnd. Eine tiefe Männerstimme lies ihn zusammenzucken. „Hey mein Junge, das ist ein Privatgelände. Du hast hier nichts zu suchen.“ Anton nickte wortlos, stand auf und lief davon. Er war sich aber sicher, dass er noch einmal hierher zurückkehren würde. 

Kurzgeschichten

Die Osterhasen-Spiele

Hoppelbert war ein einzigartiges und überaus fleißiges kleines Häschen. Schon immer träumte er davon, bei den weltbekannten Osterhasen-Spielen teilzunehmen. Jedes Jahr reisten Hasen aus der ganzen Welt zu diesem Spektakel an, um im versteckten Hasenwald in Grüntal zu zeigen, wer der Beste ist. Der erste Preis war heiß begehrt. Denn der Sieger der Osterhasen-Spiele wurde zum neuen jährlichen Osterhasen gekürt. Kein Wunder, dass Hasen aus der ganzen Welt anreisten. Es ging schließlich um den Job des Osterhasen. Hoppelbert konnte es kaum erwarten. Am ersten August war es endlich soweit. Die Osterhasen-Spiele begannen.

In der ersten Disziplin ging es um die Geschicklichkeit, der Hasen. Jeder von ihnen bekam einen vollgepackten Rucksack, gefüllt mit Eiern, auf den Rücken geschnallt. Nacheinander hoppelten die Häschen durch einen Parkour, der über Steine, durch kleine Blumenbeete und über Wurzeln führte. Alle Hasen, die es schafften die Eier in dem Rucksack heil ins Ziel zu bringen, kamen eine Runde weiter. Als Hoppelbert gerade seine Runde starten wollte, gab es plötzlich lautes Getuschel unter den Hasen. 

„Guckt mal den an.“, hörte Hoppelbert die Häschen sagen. „Der hat ja riesige Schlappohren. Das gab es ja noch nie.“ „Und der möchte Osterhase werden. Der wird doch über seine eigenen Ohren stolpern“, sagte das Häschen mit den schlanken hochgewachsenen Ohren hinter Hoppelbert und lachte. Hoppelbert machte das Gerede aber überhaupt nichts aus. Er nahm seine Ohren in seine Pfoten und murmelte dabei: „Hasenohr, noch ein Hasenohr, schieß ein Tor.“ Und machte sich einen Knoten in die Ohren. Die anderen Hasen staunten und starrten Hoppelbert verwundert an. Einen Hasen mit Knoten in den Ohren hatten sie wirklich noch nie gesehen. Dann fiel der Startschuss und Hoppelbert stürmte los. Er war nicht nur geschickt, sondern auch überaus schnell. So war es nicht verwunderlich, dass er mit unversehrten Eiern ins Ziel kam und eine Runde weiter war.

In der zweiten Disziplin ging es um die Weitsprünge der Hasen. Mit Anlauf hüpften die Häschchen über ein Blumenbeet, das drei Meter lang war. Nur diejenigen die es schafften, kamen in die dritte und letzte Runde. Es gab spektakuläre Sprünge. Manche Hasen schlugen Haken und drehten sich in der Luft. Nicht alle schafften es über das Blumenbeet und landeten unsanft in den Blumen. Als Hoppelbert an der Reihe war, wurde es diesmal Mucksmäuschen still. Alle starrten ihn an. Nur das Häschen mit den schlanken und hochgewachsenen Ohren, das sich bereits für die dritte und letzten Runde qualifiziert hatte, flüsterte zu dem Nachbarhasen: „Die Ohren von dem sind doch viel zu schwer. Niemals wird er mit den Schlappohren soweit und hochhüpfen können, wie ich mit meinen schlanken Ohren.“ Hoppelbert nahm Anlauf und sprang. Seine Ohren sahen dabei aus wie der Propeller eines Hubschraubers und ließen ihn hoch und weit über das Blumenbeet fliegen. Die Hasen staunten. Manche von ihnen applaudierten sogar. So etwas hatten sie wirklich noch nie gesehen. Hoppelbert machte eine kleine Verbeugung und freute sich, dass auch er es in die letzte Runde geschafft hatte.

Die dritte und letzte Disziplin war ein Wettrennen. Neben Hoppelbert, gab es noch den Hasen mit den schlanken hochgewachsenen Ohren und drei andere Hasen, die es bis hierher geschafft hatten. Nun ging es um die Möhre. Der Sieger würde der neue Osterhase werden. Alle waren aufgeregt. Auch Hoppelbert. Alle fünf Hasen schnallten sich wieder ihren Rucksack mit den Eiern auf den Rücken und hoppelten an die Startlinie. Die Rennstrecke führte durch den Wald, über Stock und Stein und schließlich über einen breiten Fluss, den die Hasen mit einem Sprung, überqueren mussten. Als der Startschuss ertönte, hoppelten die fünf mit rasantem Tempo los. Hoppelbert und das Häschen mit den schlanken hochgewachsenen Ohren vorne weg. Sie waren so schnell, dass die anderen drei Hasen Mühe hatten, ihnen zu folgen. Bei der dritten Abzweigung hoppelte Hoppelbert an dem Hasen mit den schlanken hochgewachsenen Ohren vorbei und kam als Erster auf den breiten Fluss zu. Mit einem eleganten Sprung überquerte Hoppelbert den Fluss und hoppelte geradewegs auf die Zielgerade zu. Die Zuschauer-Hasen tobten und feuerten Hoppelbert an. Als plötzlich ein lautes Platschen zu hören war. Das Häschen mit den hochgewachsenen Ohren war in den Fluss gestürzt. Sein Sprung war nicht weit genug gewesen. Nun paddelte es im Wasser und rief nach Hilfe. Hoppelbert bremste mit seinen großen Pfoten, machte kehrt und eilte zurück zum Fluss. In der Zwischenzeit hoppelten die anderen drei Häschen an ihm vorbei in Richtung Ziel. Hoppelbert aber war das egal. Er steuerte auf den Fluss zu und öffnete seine verknoteten Ohren und hüpfte an das Ufer. „Hier!“, rief er zu dem wild strampelnden Hasen im Wasser. „Halte dich an einem meiner Ohren fest. Ich ziehe dich raus.“ In der Zwischenzeit waren alle anderen Hasen neugierig herbeigeeilt und beobachteten Hoppelbert, wie er den Hasen mit den hochgewachsenen Ohren mit HIlfe seiner Schlappohren aus dem Wasser ans sichere Ufer zog. Völlig außer Puste keuchte das Häschen: „Vielen Dank Hoppelbert. Du hast mir das Leben mit deinen Schlappohren gerettet.“ „Das war doch klar“, antwortete Hoppelbert fröhlich. „Meine Ohren sind eben etwas ganz besonderes.“ Alle Hasen applaudierten und riefen: „Hoppelbert muss unser neuer Osterhase werden.“